Herr Schneppenheim, ist „Das große Promi-Büßen“ ihre Wette darauf, dass das Genre Reality immer noch nicht erschöpft ist?

Das Genre produziert seit Jahren Realitystars, die auch durch Verfehlungen Berühmtheit erlangt haben. Ich meine damit vorrangig peinliche oder lustige Momente, schlechtes Benehmen. Beim großen Promi-Büßen erhalten einige Realitystars nun eine Chance auf Rehabilitation. In einem sehr rudimentären Camp, ohne Alkohol oder Annehmlichkeiten, nimmt ihnen Olivia Jones die Beichte ab. Sie ist die ideale Besetzung dafür, weil sie selbst kein Kind von Traurigkeit ist, aber doch einen intakten Wertekompass besitzt. Es wird Einsichten geben und es werden Tränen fließen.  

Angekündigt war das eigentlich schon im vergangenen Jahr, da aber für Sat.1…

Genau. Die Realityshow wurde noch von Mark Land für Sat.1 beauftragt, später dann in der Sendergruppe aber von Daniel Rosemann für ProSieben vorgesehen. Die Sendung wurde auch schon im vergangenen Jahr produziert, aber zum Glück sind alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch wohl auf und niemand hat sich etwas eklatant Schlimmes zu schulden lassen kommen. Einziger Haken: Manche Dame hätte inzwischen sogar noch mehr zu beichten.

Haben Sie sich daran gewöhnt - etwas anders als geplant - mit Banijay Productions inzwischen Reality-TV-Experte geworden zu sein? „Temptation Island“, „Das große Promi-Büßen“ und „Kampf der Realitystars“ bei RTLzwei….

Als der erste Reality.Auftrag mit „Temptation Island“ kam, haben wir uns gedacht: lass mal machen. Mit ein paar dazugeholten Reality-Experten und einer Menge Experimentierfreude ging es dann nach Thailand. So haben wir unseren eigenen Zugang zum Genre Reality gefunden. Wir haben auf dem Weg für die Größe der Firma nun schon viel produziert, mit „Survivor“ auch einen Quotenflop gehabt, der weh tat. Aber all das hat zu „Kampf der Realitystars“ geführt, wenn auch auf einem Umweg.

Welcher Umweg?

Wir hatten „Shipwrecked“ an RTLzwei verkauft, haben darauf in Cannes bei der Messe auch standesgemäß angestoßen mit dem Sender. In diesem Format werden zwei Gruppen von Normalos auf zwei Inseln verteilt. Neuankömmlinge müssen sich nach ein paar Tagen für eine der Gruppen bzw. Inseln entscheiden und die größte Gruppe gewinnt am Ende. Aber dann floppte „Survivor“ bei Vox und im Herbst 2019 bekam RTLzwei deshalb Bedenken, da waren wir aber schon tief in den Vorbereitungen. Man wolle nun doch keine Realityshow mit Normalos mehr. Ob wir das stattdessen nicht nochmal ganz anders denken können. Wir hatten ja noch sagenhafte vier Monate Zeit bis zum Produktionsstart. Es wurde nachgedacht, verworfen, Locations gescoutet und letztlich eine Sala gezeichnet und gebaut. Das war alles so unfassbar knapp, dass die am Haus angebrachten, frischen Bambusrohre während der ersten Folgen noch die Farbe von grün auf braun gewechselt haben. Mehr Last-Minute gibt es nicht. Das braucht einen Partner mit Vertrauen und Mut - beides hat RTLzwei.

Die dritte Staffel lief gerade, konnte den Angriff von „Club der guten Laune“ ihrer Schwesterfirma abwehren. Was machen Sie besser als das Team um Rainer Laux?

Ich freue mich mehr über den eigenen Erfolg als über Misserfolge anderer. Aber es stimmt, wir haben auch diesmal den Senderdurchschnitt verdoppelt und das gegen jedes Konkurrenzprogramm, ob Fußball, Eventshows oder andere Reality-Programme. Wir waren natürlich etwas nervös, weil wir ja auch schon einmal 1:1 gegen das „Sommerhaus der Stars“ angetreten sind und dabei unsere bisher schwächste Quote geholt haben. Der „Club der guten Laune“ hat dann aber zu unseren Gunsten nicht so gut gezündet.

Das beantwortet die Frage noch nicht…

„Kampf der Realitystars“ ist das erste Reality-Format, das Reality selbst zum Thema macht. Wir untersagen unserem Cast nicht, über andere Format zu sprechen. Im Gegenteil: Das ist unser USP. Wir nehmen das Genre liebevoll aufs Korn. Es ist daher das derzeit wohl ehrlichste Reality-Format im deutschen Fernsehen, weil es bei uns nur um eins geht: Sendezeit. Wir amüsieren uns mit dem Cast, wenn wir sie raten lassen, wer wohl die höchste Gage bekommt. Auch das Blurren einer Spielverliererin für den Rest der Folge, was im Kampf um Aufmerksamkeit ja sozusagen Höchststrafe ist, hat mir sehr gefallen. Es bleibt immer vorrangig heiter rund um die Sala. Wer letztlich liefert, bekommt Sendezeit. Da machen wir gar nicht erst einen Hehl draus. Mit unserem Realitystar-Bewerber haben wir etwas ganz neues ausprobiert. Er war sehr umstritten bei manchen Realitystars, die nicht davon überzeugt waren, dass so jemand es verdient hat, dabei zu sein. Warum? Weil sie es für einen Beruf halten, Realitystar zu sein.

Wird das Genre ernst genommen in der Branche?

Für uns ist Reality zu einem wichtigen Bestandteil unserer Firma geworden, aber wir arbeiten natürlich auch an anderen Genres inklusive einiger Doku-Projekte, Factual, Show und meinem „Lehrbereich“ Comedy. Was mich aber in der Tat etwas ärgert: Reality wird selbst in der Branche noch oft als der peinliche Onkel auf der Familienfeier betrachtet. Das Handwerk und der Aufwand hinter solchen Produktionen wird leider selten gesehen, das ist schade. Eigentlich amüsiert man sich aber jedes Mal über den Onkel und würde es vermissen, wenn er nicht dabei wäre. Zugeben würden das die wenigsten. Bei Preisverleihungen oder Gesprächen über das Genre wird dann meistens nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht: Diversity. Bei „Prince Charming“ oder „Princess Charming“ - beides sehr gut produzierte Sendungen - können halt auch Kulturskeptiker noch einen Mehrwert entdecken. Die Beliebtheit des Genres und seiner erfolgreichsten Formate bei den Zuschauer*innen spiegelt das nicht.

Lassen Sie uns über andere Genres sprechen: Shows beispielsweise. Gehen die nur noch in XXL?

Das ist definitiv der Trend, leider. Wir spüren das ja auch bei dem „König der Kindsköpfe“, wo wir bei RTL wie einige andere Formate auch von „RTL direkt“ unterbrochen werden. Ich bin übrigens der Meinung, dass sich das deutsche Fernsehen leichter tun würde, wie in allen anderen Ländern in der Unterhaltung grundsätzlich auf kürzere Formate zu setzen. Als Gründe für lange Shows werden zumeist Kosteneffizienz und die Erwartung höherer Marktanteile angeführt. Ich würde dagegenhalten, dass es bei einstündigen Sendungen nicht mal teurer wird, wenn man die in Staffeln produziert. Wir würden darüber hinaus wieder mehr Chancen haben, neue kleinere Ideen auszuprobieren. Die Längen vieler Shows sind zudem auch kein Garant mehr für gute Marktanteile. Das läuft mal besser, mal schlechter. Kurze Shows haben da zuletzt zumindest nicht seltener überzeugt.

Kleinere Flächen zum Experimentieren verschwinden mit dem Trend zum XXL-Fernsehen in der Tat.

Und warum benutzen die großen Sender ihre kleinen Sender denn nicht, wie man im Fußball so schön sagt, als Sportleistungszentren, um dort Nachwuchs trainieren zu lassen. Raab kam von Viva, Pocher kam von Viva, Klaas und Joko kamen von Viva und MTV, Caro vom WDR, Böhmermann von ZDFneo. Alle haben doch erstmal außerhalb des großen Rampenlichts trainiert. Warum keine Comedy-Offensive bei Nitro oder ProSieben Maxx? Warum hat ZDFneo das wirklich tolle TV-Lab aufgegeben? Nie wäre ein TV-Lab wertvoller als heute, um z.B. auch Creator von TikTok einen Anreiz zu geben, mal was fürs Fernsehen auszuprobieren.

Comedy ist ja eigentlich auch eines ihrer persönlichen Steckenpferde. Wie bitter ist es, wenn Daniel Rosemann bekundet, dass Comedy bei Sat.1 vorerst keine große Rolle mehr spielt?

Comedy ist derzeit völlig unterrepräsentiert im deutschen Fernsehen. Abseits von Satire bei Böhmermann, Kebekus und „heute show“ gibt es da wenig. In der Late-Night gibt es noch „Studio Schmitt“ und „Late Night Berlin“, aber große Comedyshows, Sketchcomedy und Panelshows fehlen uns. Da spielt natürlich auch Corona mit rein, weil in den vergangenen zwei Jahren die Bühnen fehlten, auf denen sich neue Namen hätten ausprobieren können. Ich bin gespannt, was Prime Video mit Teddy noch machen wird. Und ich freue mich sehr auf den großen Abend zu Ehren der Kultsendung „RTL Samstag Nacht“, an dem wir arbeiten. Dabei wird uns aber auch eine andere Herausforderung von Comedy in unseren Zeiten deutlich: Zwei Drittel der Gags von damals könnte man heute nicht mehr machen, wenn man politisch korrekt sein will. Da sind eben doch 25 Jahre vergangen, was auch sehr gut so ist! Aber genau deswegen wäre es umso mehr Zeit für neue Comedy.

Herr Schneppenheim, herzlichen Dank für das Gespräch.